Schweden so, wie ich es mir vorgestellt hab
Heute geht‘s ins Landesinnere
Geschlafen hab‘ ich in meinem dunklen Zelt ziemlich gut. Hans ist in seiner Hängematte vor mir wach geworden. Nach dem Frühstück geht’s ans Zusammenpacken. Hans ist vor mir startklar, was aber nicht stört, da sich unsere Wege ohnehin heute trennen. Sein Plan ist es weiter nördlich an der Küste entlang bis nach Göteborg zu fahren, ich hab dagegen vor nordöstlich ins Landesinnere zu fahren. Mein Gepäck ist am Fahrrad und ich mach mich auf den Weg zur Straße. Der wurzelige Weg zurück fährt sich etwas besser wie gestern, trotzdem bin ich froh wieder Asphalt unter den Rädern zu haben. Die gut beschilderten Fern-Radwege führen mich über unterschiedlichste Wege. Mal geht es über Landstraßen, die ich fast für mich habe, dann wieder über traumhaft gute Radwege. Teilweise geht es auch über Schotterpisten die so festgefahren sind, dass ich auch mit meinen Reifen die kaum Profil haben, wenig Probleme hab.
Die unterschiedlichen Wege führen mich durch unglaublich schöne Wälder die nahezu endlos erscheinen. Immer wieder erscheinen, wie aus dem Nichts, wunderschöne Seen, die sich manchmal über Kilometer erstrecken und mich auf meinem Weg begleiten. Ich bin total glücklich, da das genau das ist was ich mir vorgestellt habe, nur noch viel überwältigender und schöner. Jeden Kilometer, jeden neuen Weg, jeden See und jedes Dörfchen kann ich genießen. So fahre ich vor mich hin bis sich langsam meine Beine melden. Also heisst es jetzt einen Schlafplatz zu finden. Die letzten Stunden fahre ich zwar überwiegend auf Schotter durch den Wald aber trotzdem stoße ich immer wieder auf Wohnhäuser mitten im Nirgendwo. Laut meiner Karte gibt es in der Nähe einen Windschutz an einem See unweit der Straße. Die Abzweigung ist unscheinbar und leicht zu übersehen, obwohl der See durch die Bäume schimmert.
Als erstes baue ich mein Zelt auf, bereite alles für’s Schlafen vor und kümmere mich dann ums Kochen. Ich bin froh angekommen zu sein, trotzdem fühle ich mich, dafür dass es gestern über 100 Km und heute knapp 90Km waren, ziemlich fit. In dem Windschutz stehen Campingstühle aus Plastik über die ich mich sehr freue. Nach den letzten Wochen war auf dem Boden sitzen normal geworden. Abends einen Tisch und eine Bank an einer Hütte zu finden war genial, aber heute mit dem Abendessen auf dem Schoß den Sonnenuntergang genießen zu können und sich dabei anlehnen zu können ist Luxus pur! In solchen Momenten wird mir wieder mal klar, was die kleinen Dinge bedeuten und wie wie schnell Luxus und Komfort zum selbstverständlichen Alltag wird. Ich genieße also mein Essen, den Sonnenuntergang und die Möglichkeit mich anzulehnen bevor ich mich zufrieden, satt und müde in mein Schlafsack lege.
Auf ins Wunderland!
Ich werde den guten Plastik-Stuhl verlassen. Frisch gestärkt und gut bepackt geht’s weiter. Mein Weg führt mich noch über einige Hügel bevor es zunehmend flacher wird. Die Wege sind ein Traum und ich rolle angenehm leicht durch die Landschaft. Mein Sirt hab ich an meinen Taschen befestigt und die Sonne strahlt mir auf den Rücken während sich die Umgebung ändert und ich mehr und mehr Felder zu sehen bekomme. Auf einer der Weiden steht ein schönes, stämmiges hellbraunes Pferd mit blonder Mähne das ziemlich interessiert wirkt. Ich halte am Zaun an und stelle fest, dass es sich gerne streicheln lässt.
Der Wechsel zwischen Felder und Wälder wird immer wieder von Seen begleitet. In der Mittagspause nehme ich mir ordentlich Zeit und kümmere ich mich darum welche Ersatzteile ich für mein Rad brauche, wo ich sie her bekomme und welche Werkstatt dafür am Besten passt. Seit einiger Zeit macht mein Tretlager Geräusche die zunehmend schlimmer werden. Mittlerweile ist auch im Lager spürbar Spiel, wodurch die Kurbel wackelt. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit bis sich das Lager komplett verabschiedet. Naja, ehrlich gesagt hätte es an ein Wunder gegrenzt, wenn ich bei solch einer Strecke keinerlei technische Probleme gehabt hätte.
Heute Abend hab ich mir einen Windschutz im Wald ausgesucht. Die Anstiege, das auf und ab die zwischen mir und meinem Ziel auf dem kleinen Berg liegen, gehen dank der ansonsten entspannten Strecke gut. Der Schotter auf dem Weg wird grober und in mir wachsen Bedenken als ich auf einen kleinen Pfad abbiege der mich zum Unterstand führen soll.
Völlig unberechtigt! Der Pfad führt mich über die letzte Kuppe und ich sehe neben Bänken, Feuerstellen, dem Windschutz und einem Klo noch etwas richtig Besonderes! Die kleine Lichtung erinnert mich an ein Hobbit-Dorf. Die kleinen uralten Hütten aus Stein, die zur Hälfte in den Boden und den Hang gebaut wurden, sind komplett überwachsen. Mit der Sonne die durch die Spitzen der alten Bäume auf die kleine Lichtung strahlt wirkt alles wie aus einem Märchen-Wunderland. Ich stelle mein Fahrrad ab und erkunde die Hütten bevor ich mein Lager aufschlage und esse. Die Hütten sind nicht nur offen zugänglich sondern auch schön und passend eingerichtet. Neben einem steinernen Kamin finde ich einen Tisch und zwei Bänke auf denen sogar Tierfelle als Polster ausgebreitet sind. Es wirkt wie aus einer anderen Zeit und fasziniert mich total.
Neuer Tag, Neues Abenteuer
Es ist echt schön, den Reißverschluss vom Zelt zu öffnen, raus zu schauen und dieses kleine Wunderland zu sehen. Auch beim Frühstück kann ich mich kaum satt sehen. Ich mach mich auf den Weg und meine Beine freuen sich darüber, dass es die ersten Kilometer abwärts geht. Allerdings lassen die Hügel nicht lange auf sich warten. Überwiegend über Schotterpisten fahre ich Hügel für Hügel, Stunde um Stunde meinem Ziel entgegen. Heute geht’s überwiegend durch Wälder voller Kiefern, die Luft duftet und die Sonne scheint, einfach schön.
Am Nachmittag steuere ich eine Schutzhütte an die ich auf der Karte gesehen hab. Leider ist sie aber schon besetzt, also weiter. Einige Hügel später führt der Weg wieder über eine asphaltierte Straße an der immer wieder Häuser stehen, dieses mal hab ich mit meiner Befürchtung recht. Der Unterstand ist relativ nah neben einem Wohnhaus und genau gegenüber, auf der anderen Straßenseite ist ein Campingplatz. Hier zu übernachten, in Sichtweite von beidem wäre einfach nur dreist. Da der Campingplatz teuer ist fahre ich zu einem See im Wald, an dem auch eine Hütte mit Feuerstelle ist. Hier angekommen geht das Spiel weiter: Mehrere Familien die sich hier eingerichtet haben, feiern, angeln und so wirken als ob sie länger bleiben würden. Ich gebe die Suche nach einer Hütte auf und schaue jetzt nach einer ebenen Stelle ohne Wurzeln wo ich mein Zelt am See aufbauen kann. Ein bisschen beunruhigend ist, dass der Pfad den ich mir ausgesucht habe als Mountainbike-Trail beschildert ist. Auf den ersten Metern kommt mir ein Mountainbiker-Pärchen entgegen, das mich und mein bepacktes Rad ziemlich entgeistert anschaut. Es ist zwar nicht einfach zu fahren und verdammt anstrengend aber es geht. Unweit bevor der Weg wieder auf den See trifft kommt mir noch mal ein Mountainbiker-Pärchen entgegen. Sie bringen mich zum Schmunzeln: Er fährt hochmotiviert voraus und nickt mir anerkennend zu als er mein Gepäck sieht während sie ihm mit hochrotem Kopf, völlig außer Puste folgt und nur den Kopf schüttelt als sie mich sieht. Die letzten Meter zum See führen über einen kleinen Hügel. Der Weg ist sandig und mit meinen Reifen absolut nicht fahrbar. Ich steige ab und schiebe mein Rad das tief im Sand einsinkt und kaum noch rollt. Am See angekommen habe ich eine ebene Fläche ohne Wurzeln für mein Zelt und eine winzigkleine Bucht zum Baden ganz für mich alleine. Ich beeile mich mein Zelt aufzubauen, da ich in den See will. Im ersten Moment ist er zwar kalt, aber es tut so gut den klebrigen Schweiß und den Staub der auf der Haut klebt abzuwaschen. Ich fühle mich wie neu geboren. Essen und Schlafen sind jetzt noch die größten Prioritäten.