Schroff, kalt und endlos
Skandinavien zeigt sich uns so, wie ich es mir vorgestellt habe..
Wir wachen in der kleinen Hütte auf, genießen noch einige Minuten den Luxus in einem Bett zu liegen und machen uns dann ans Zusammenpacken. Wir hatten uns in dem Laden im Dorf am Tag zuvor Gebäck gekauft, das wir jetzt in der Gemeinschaftsküche aufbacken, um es dann zu frühstücken. Beim Zusammenpacken merken wir, dass wir doch relativ viel Zeug haben, das wir in die wenigen Taschen verstauen. Das Gebäck sollte fertig sein, also gehen wir es holen. Die Zimtschnecken sind gut, allerdings werden die Croissants einfach nicht gut. Nach einiger Zeit versuche ich, sie dann so zu essen, was meinem Bauch nicht gut bekommt. Schade, ich hatte mich ziemlich auf die Croissants gefreut, da ich soetwas schon seit Monaten nicht mehr hatte.
Nachdem wir alles gepackt, gefrühstückt und uns frisch gemacht haben, geht´s weiter. Die Pause tat gut und wir sind auch wieder froh, im Sattel zu sitzen. Von Campingplatz aus geht’s relativ eben durch das kleine Städtchen bevor es dann aufwärts geht. Es ist kälter als erwartet und wir halten immer wieder an, um noch eine dünne Schicht Kleidung über zu ziehen.
Das Wetter ist ziemlich wechselhaft aber im Großen und Ganzen deutlich kälter als in den letzten Wochen. Im Endeffekt sind die Bedingungen jetzt mehr so wie ich sie mir vorgestelt habe: Wechselhaft, kalt, regnerisch und vor allem windig. An einem kleinen verlassenen Haus, das völlig einsam an der Straße steht, halten wir kurz an um etwas zu snacken und ein bisschen Schutz vor dem Wind zu suchen.
Es ist ein ständiger Wechsel zwischen Nieselregen und Sonnnenschein. Beides hält sich allerdings in Grenzen. Die Wolken sorgen dafür, dass die Sonne uns nicht direkt ins Schwitzen bringt, dafür sind die Regen-Schauer so moderat, dass es beim Fahren nicht stört. Der Wind ist ein ständiger Begleiter und wird es vermutlich auch auf den letzten Etappen bleiben.
Wir rollen über unzählige, meist relativ kleine, Hügel. Entlang unserer Strecke ist neben den kargen und felsigen Abschnitten auch reichlich grüne Landschaft zu sehen. Es ist interessant und wunderschön zu beobachten, wie die schroffen kargen Gebiete über reichlich grüne Wiesen mit kleinen Bäumen und Sträuchern in ein mooriges Areal übergehen, das dann immer wieder kleine und große Seen umschließt. Wir sind hier sowas von alleine, dass es fast schon gruselig sein könnte. Allerdings haben wir uns in den letzten Wochen so langsam aber sicher immer weiter aus der Zivilisation in die Natur entfernt, dass die Vorstellung jetzt in einer Großstadt zu sein, sehr seltsam wirkt. Ich würde nicht sagen, dass diese völlig menschenleere Landschaft für uns Normalität geworden ist, allerdings haben wir uns schon so oft damit arangiert, dass wir anfangen, uns hier richtig wohlzufühlen.
Der eisige Wind ist natürlich alles andere als angenehm, aber auf eine gewisse Weise hat er auch etwas schönes. Während dem Fahren ist uns warm genug. Allerdings ändert sich das schnell, wenn man anhält und der Kälte ausgesetzt ist. Wir fangen nach wenigen Minuten an zu frieren und machen nur kurze Pausen. Ich merke immer wieder, dass diese Landschaft hier nicht für uns Menschen gedacht ist, zumindest nicht, wenn wir keinen Schutz haben. Hier regiert die Natur und wir sind in dieser Umwelt Gäste, die darauf angewiesen sind, hier willkommen zu sein. Ich bin sicher, dass es bei heftigen Wetterwechseln hier sehr schnell richtig gefährlich werden kann. Weit und breit ist keine Möglichkeit, Schutz zu suchen.
Die Natur hier beeindruckt mich mehr als ich es beschreiben könnte. Die endlose Weite und die große Bergkette in der Ferne lassen mich aufs Neue verstehen, wie klein und zerbrechlich wir im Vergleich zu den Gewalten der Natur sind.
Uns ist klar, dass es ziemlich ungemütlich sein wird, wenn wir unser Lager auf freier Fläche aufschlagen. Also haben wir uns einen Windschutz ausgesucht. Eine Hütte muss es gar nicht sein, lediglich etwas Hohes, hinter dem wir etwas Schutz finden und das den Wind von uns ablenkt.
Von der Straße, der wir den ganzen Tag über gefolgt sind, geht ein geschotterter Weg ab. Er führt ein Tal hinauf, wo uns ein kleiner Fluss entgegen fließt. Hier an diesem Schotterweg sehen wir ein paar Häuser. Die meisten sind offensichtlich kleine Ferienhäuser, allerding sind auch vereinzelt Häuser dabei, die scheinbar dauerhaft bewohnt sind. Wir fragen uns, was die Menschen, die hier wohnen, wohl arbeiten. Bis in die nächste Siedung sind es viele Kilometer und dort gibt es auch nicht viel.
Ein kleines Stück weiter talaufwärts sehen wir einen kleinen Gebäudekomplex aus Beton, der auf einem Fels am Fluss gebaut wurde. Von hier aus führen Stromleitungen den Berg hinauf und unter den Häuschen kommen Wassermassen aus einem großen Loch geschossen. Offensichtlich stehen wir vor einem Wasserkraftwerk. Parallel zum Weg führt ein mächtiges grünes Rohr mit etwa zwei Metern Durchmesser ins Tal. Der Weg und das Rohr führen uns zu einer Staumauer. Ich gehe den steilen Hang hoch, um Fotos zu machen. Hier an der Staumauer fallen mir Warnschilder ins Auge. Sie verbieten zum Einen das Baden und warnen zum Anderen vor den starken Strudeln. Auf den zweiten Blick entdecke ich ihn. Etwa drei Meter von der Staumauer entfernt und direkt oberhalb der Stelle, an der das Wasser ins Rohr und dann ins Tal verschwindet, ist er. Die gewaltige Kraft lässt sich nur erahnen.
Von hier ist es nur noch ein Katzensprung bis zu dem Platz, an dem wir hoffen, unser Lager gut und geschützt aufschlagen zu können. Der Weg wird zum Ende hin immer holpriger, allerding nichts im Vergleich zu dem, was wir in den letzten Wochen hinter uns gebracht haben.
Nach einer Kuppe erreichen wir einen großen geschotterten Wendeplatz, von wo aus kleinere Boote in den Stausee gelassen werden können. Nach einer kleinen Biegung sehen wir den Windschutz und das hübsche Plätzchen an dem wir planen zu bleiben. Der Blick auf den See, der vor den reich bewaldeten Bergen liegt, ist ebenso schön und beruhigend wie gewaltig.
Direkt am Ufer steht der Windschutz. Drei Wände mit kleinen Dächern, die um eine Feurestelle angeordnet sind. Auf der Kies-Fläche stehen ein paar Picknickbänke und das war´s auch schon. Ideal für uns, wir bauen unser Zelt in der Nähe der mittleren Wand auf und können sogar am Tisch kochen. Es macht einen gigantischen Unterschied, ob man hier steht oder neben dem Windschutz. Am Zelt ist es trotz der Kälte recht angenehm. Wir kochen unser Abendessen und Tee bevor wir uns ins Zelt verziehen. Hier drin ist die Temperatur bald auf einem angenehmen Niveau.
Auf zum Nordmeer!
Das Wetter hat sich am nächsten Morgen nicht großartig verändert. Es ist nasskalt und windig. Wir machen zügig Frühstück und packen zusammen, dass wir bald starten können. Der Kaffee und das warme Porridge tun richtig gut. An dem schönen Plätzchen machen wir noch einige Fotos, bevor wir losfahren. Im Nachhinein finde ich es interessant, wie entspannt wir auf dem Foto wirken. In dem Moment hatte ich überhaupt keinen Bock, Fotos zu machen, da ich die dicken Klamotten schon weggepackt hatte, startklar zum Losfahren war und dementsprechend beim Rumstehen gefroren habe. Was man nicht alles für hübsche Fotos macht…. Sobald wir unterwegs sind, ist die Temperatur kein großes Thema mehr. Unsere Regenjacken halten nicht nur den Regen, sondern auch den Wind vom Körper fern und die Wärme kommt beim Fahren von innen. So wird’s schnell warm.
Auf unserer bisherigen Tour haben wir schon einige Hügel und Berge hinter uns gelassen und einiges gesehen. Trozdem begeistert die Landschaft immer wieder. Hunderte Meter fahren wir an einer senkrecht abfallenden Felswand entlang. Auf der einen Seite Fels, auf der anderen Seite ein riesiger See und wir mittendrin. Aufs Neue ein Grund, sich winzig zu fühlen.
Unser Weg führt uns nach Lakselv, wo wir das Nordmeer erreichen. In dem kleinen Städchen füllen wir an einer Tankstelle unsere Wasservorräte auf. Im Anschluss pumpen wir unsere Reifen noch mal ordentlich auf. An der Druckluft-Station kommen wir mit einem älteren Mann ins Gespräch, der mit seinem Wohnmobil unterwegs ist. Er erzählt, dass er schon einige Male am Nordkapp gewesen ist und seinen Ruhestand damit verbringt, im Wohnmobil umherzureisen. Während wir uns mit ihm unterhalten und ich mich nebenher um die Räder kümmere, bietet er uns Fisch an, den er am Vortag selbst frisch gefangen hat. Da wir beide kein Fleisch essen, lehnen wir dankend ab worauf er erzählt, dass seine Kinder und Enkel auch kein Fleisch essen, er aber nicht drauf verzichten möchte.
Nach der netten Unterhaltung fahren wir ein kleines Stückchen weiter bis zu einem „Park“. Der „Park“ hat seinen Namen allerdings nicht wirklich verdient. Es ist eine winzige Grünfläche mit ein paar recht hohen Büschen, die Windschutz bieten, einer Picknickbank und einem Mülleimer. Also im Endeffekt perfekt für uns. Wir machen uns etwas Warmes zu Mittag, genießen es, dass die Sonne zum Vorschein kommt und fahren dann gestärkt weiter.
Die Umgebung ändert sich erneut: Die Berge werden zunehmend steiler und zwischen ihnen und dem Meer ist jetzt nur noch die kleine Straße. Wenn wir in Richtung der Berge schauen, müssen wir den Kopf ordentlich in den Nacken legen. Auf den Fotos sind die Steilwände nicht sehr gut zu erkennen, an deren Fuß sich Geröllhalden gebildet haben. Die Giganten erheben sich mit unglaublicher Langsamkeit aus dem Meer und werden über Jahrtausende hinweg abgeschliffen.
Ich bin in den letzten Tagen völlig überwältigt von dem, was sich uns hier bietet und ich bin unglaublich dankbar, das alles erleben zu dürfen. Wobei ich es selbst immer wieder kaum glauben kann, dass ich es bis hierher mit dem Fahrrad geschafft habe.
Das Wasser in dem Fjord neben uns ist unglaublich klar. Immer wieder fahren wir an kleinen Bächen vorbei, die zu unserer Linken in Wasserfällen von den Bergen kommen und zu unserer Rechten ins Meer münden. Das Wasser in diesen kleinen Bachbetten muss wohl der Inbegriff von glasklarem Wasser sein. Mein Blick schweift immer wieder über den klaren Fjord und ich beobachte, wie sich die Wolken, die tief über dem Meer hängen, ununterbrochen verändert.
Plötzlich entdecken wir etwas! Am Ufer steht ein mächtiges Rentier. Es hat gerade noch gefressen, setzt sich jetzt aber in Bewegung. Auf einer Anhöhe bleibt es stehen und präsentiert sein Geweih. Das Foto von diesem mächtigen Tier vor dem traumhaften Fjord im Hintergrund ist eines meiner bisherigen Lieblingsfotos. Ich bin mir nicht sicher, ob das Tier uns mit seiner Körperhaltung mitteilen will, dass dies sein Revier ist. So oder so halten wir Abstand und lassen dem Rentier seine Ruhe.
Ich bin mit meinen Gedanken komplett woanders, als ich höre, wie Caro hinter mir ruft, dass ich anhalten soll. Ich schaue zurück und sehe, wie sie erst anhält und hektisch absteigt. Was los ist, verstehe ich nicht ganz. Ich drehe um und fahre zurück zu ihr. Sie steht im Gestrüpp und sucht etwas. Was es ist, ist immer noch nicht ganz klar.
Sie hat Moltebeeren gefunden! Die kleine orangene Frucht hat einige Namen, unter anderem auch Sumpf-Brombeere. Wie der Name vermuten lässt, wachsen sie hauptsächlich in sumpfigen und moorigen Gebieten. Sie kommt ausschließlich im nördlichsten Skandinavien vor und ist unglaublich selten. Marmelade oder Ähnliches ist dadurch ziemlich teuer. Reife Früchte schmecken angeblich leicht nach Aprikosen, sind aber häufig bitter. Wir essen die wenigen Beeren, die Caro gefunden hat, ich kann den Geschmack aber gar nicht zuordnen. Wir sind uns beide nicht mal sicher, ob sie uns gut schmecken oder nicht. Auf jeden Fall ist es ein einzigartiger Snack, den nur wenige essen, nachdem sie sie selbst gepflückt haben.
Vor uns auf der Straße sind mal wieder Rentiere. Ein paar Autos, die uns gerade noch überholt haben, bremsen abrupt ab, da die Tiere sich nicht von der Straße verscheuchen lassen. Die Tiere geben irgendwann dann nach und nach die Straße wieder frei und es geht weiter.
Plötzlich knallt es! Laut wie ein Schuss! Die Berge werfen das Echo zurück und uns ist schnell klar, was passiert ist. Bei Caros Fahrrad ist am Hinterrad der Schlauch geplatzt. Wie das passieren konnte und was das Problem war, verstehen wir beide nicht. Am Straßenrand angehalten bauen wir das Rad aus und ich fange an, es zu reparieren. Schnell etwas überziehen, dass der eisige Wind uns nicht zu sehr auskühlt und dann die Sache wieder zum Laufen bringen. Ich habe das Rad ausgebaut und den Mantel von der Felge gezogen, während Caro den Ersatzschlauch ausgepackt hat. Diesen einbauen, alles wieder zusammenbauen, aufpumpen und weiter. In der Zwischenzeit hat ein Auto angehalten und die Beifahrerin gefragt ob wir Hilfe brauchen.
Die Panne ist recht schnell behoben, jetzt, da wir eh stehen, noch einen Müsliriegel und weiter geht’s!
Seit Lakselv ist uns etwas aufgefallen, das wir lange nicht mehr gesehen haben: Umzäunte Weiden. Seltsamerweise waren diese aber immer leer und weit und breit keinerlei Tiere zu sehen. Langsam aber sicher ändert sich das. Immer wieder sehen wir Schafe und Ziegen. Kurioserweise sind sie aber allesamt außerhalb der Weiden. Sie stehen entweder fressend mitten in der Pampa umher, fressen Gras am Straßenrand oder laufen auf der Straße. Aber die Weiden sind nach wie vor alle leer. Auch der Verkehr scheint sich an die Schafe und Ziegen genau so gewöhnt zu haben wie an die Rentiere, die immer wieder auf den Straßen umherwandern.
An einem Anstieg an einer Felswand entlang fahren wir an Schafen mit Jungen vorbei. Sie wechseln vor mir die Straßenseite. Ich halte an und sehe ihnen dabei zu, während Caro schon ein Stück weiter ist. Die Mutter geht an der Leitplanke vorbei, die Lämmer schlüpfen darunter durch. Das Muttertier kommt auf mich zu und will offensichtlich gestreichelt werden. Während die Lämmer hinter der Leitplanke das junge Gras fressen, genießt die Mutti sichtlich die Streicheleinheiten, die sie von mir bekommt.
Einige Kilometer weiter kommen wir unserem Ziel näher. Je weiter wir in den Norden fahren, desto weniger Auswahl haben wir, was Schlafplätze angeht. Wenn die bisherige Reise sich noch nicht genug nach Abenteuer angefühlt hätte, dann wäre es spätestens jetzt der Fall. Das Gelände um uns herum ändert sich erneut ein wenig und die Ausläufer der Berge werden zum Meer hin flacher. Die Landschaft ist für mich einerseits sehr fremd, andererseits aber auch vertraut. Nach gewisser Zeit weiß ich, woran mich das erinnert: Die Alpen. Der felsige Untergrund der nur wenig bewachsen ist, der ständige Wind und die unerwarteten Wetterumschwünge. Das alles erinnert mich ans Hochgebirge, an Touren über 2500 Meter. Allerdings ist es seltsam, in diesem bekannten Bild auch das Meer zu finden.
Hinter einer Kuppe, die etwas Schutz bietet, bauen wir unser Zelt dort auf, wo es von kleinen Bäumchen und Gestrüpp umgeben ist. Es zieht zwar immernoch, aber wir werden auf jeden Fall nicht weggepustet.
Einige Zeit stehe ich einfach nur da, an einer kleinen Kante zum Abhang, der aus Geröll besteht, und schaue in die Ferne. Es ist wieder einer dieser Momente, in denen es mir schwer fällt zu glauben, dass ich in Friesenheim losgeradelt bin. Meine Versuche, das unglaubliche Panorama auf Fotos einzufangen, ist kläglich gescheitert. Noch ein Grund mehr, die Momente und den Ausblick zu genießen.
Unweit von unserem Zelt, das wir im Schutz der Vegetation aufgebaut haben, steht ein kleines Bäumchen. Es leistet uns sehr gute Dienste. Nicht nur, dass es mein Fahrrad hält, an dem immernoch der Ständer defekt ist, nein, das Bäumchen ersetzt auch unsere provisorische Wäscheleine, auf der wir unsere verschwitzten und nassen Klamotten aufhängen. Es ist also unser Wäsche-Bäumchen.
Wir setzen uns in den Windschatten unseres Zeltes und kochen unser Abendessen, während wir die Aussicht genießen. Mit Essen und Tee geht´s dann bald ins Zelt, wo es deutlich angenehmer ist.