Polarkreis, die Heimat des Weihnachtsmanns und Hitze
Ich wache auf und stelle fest, dass ich schwitze
Trotz dem vielen Kommen und Gehen an der beliebten Stelle hier, haben wir recht gut geschlafen. Allerdings ist es im Zelt zu warm. Draußen scheint auch schon die Sonne. Naja, immernoch… da es ja nur dämmert. Erst mal einen ordentlichen Schluck Wasser und dann raus aus dem Zelt, frühstücken, zusammenpacken und los.
Der Schotterweg führt vorbei an der Brücke, über die wir gekommen sind, bis zum Ende der Insel. Hier biegen wir ab und kommen zu einer Staumauer. An der Stelle, an der wir übernachtet haben, haben wir bei den beiden Flusshälften einen deutlichen Unterschied gesehen. Eine der beiden ist deutlich schneller geflossen. Diese Hälfte wird an genau dieser Mauer gestaut und zur Stromgewinnung genutzt. Es ist beeindruckend zu sehen, wie auf der einen Seite ein ruhiger See liegt, während auf der anderen Seite, am unteren Ende der Mauer, Wassermassen aus dem Auslass geschossen kommen.
Auf der anderen Seite der Staumauer angekommen, erwartet uns, neben einer Info-Tafel, auch noch etwas anderes: Eine mehrere Meter große Turbine. Sie ist nicht nur ein Ausstellungsstück, das hier zur Demonstration steht, nein, genau diese Turbine war genau hier, in dieser Staumauer verbaut und hat einige Jahre zuverlässig Strom produziert.
Unser Plan ist es, jetzt wieder auf die E75 zu fahren und ihr bis Rovaniemi zu folgen. Nur teilweise fahren wir auf der Schnellstraße, da es am Großteil der Strecke einen Radweg parallel zur Straße gibt. Auf der einen Seite sehen wir durch die Bäume immer wieder den Fluss, während auf der anderen Seite Häuser, Höfe und viele Felder an uns vorbeiziehen. Mir fällt im Vorbeifahren etwas auf, was Caro etwas irritiert. Ich weiß zwar, was es ist, habe es aber noch nie in echt gesehen. Heumännchen, eine hölzerne Konstruktion über die frisch gemähtes, nasses Gras gehängt wird, was hier in der Sonne trocknet. In der modernen Landwirtschaft, wo sehr viel von Maschinen übernommen wird, ist diese Technik nicht mehr zu finden. Anscheinend wird hier allerdings noch traditionell per Hand das Gras gemäht und getrocknet.
Wir kommen in Rovaniemi an. Für Lapplands Hauptstadt an sich haben wir nicht wirklich Zeit. Etwa in der Mitte der modernen Stadt verläuft die E75 über eine kleine Insel, wo wir Mittagspause machen. Die Insel heißt Koivusaari und liegt genau da, wo der Fluss Ounsjoki in den Kemijoki fließt. Von hier aus haben wir nicht nur einen schönen Blick über den Fluss und auf eine Hängebrücke, sondern auch auf ein großes Hausboot, das auf dem Wasser treibt. Die Pause fällt relativ kurz aus. Zum einen müssen wir gleich einkaufen, aber vor allem zieht ein Gewitter auf und es würde ganz gut passen, wenn wir dann im trockenen Laden angekommen sind. Also schnell essen und weiter.
Gerade als der Regen so richtig einsetzt, erreichen wir den Supermarkt. Wir haben es noch mehr oder weniger trocken geschafft. Da es keine vernünftige Möglichkeit gibt, die Räder abzustellen und anzuschließen, bleibt Caro unter dem Vordach und passt auf die Räder auf, während ich einkaufen gehe. Bis ich fertig bin und alles habe, sitzt sie im Vorraum, wo es wärmer ist und hat die Räder von hier im Auge.
Nach einem Blick in den aktuellen Wetterbericht wird uns klar, dass wir heute so oder so nass werden. Also machen wir uns gleich auf den Weg. Mit unseren Regenjacken geht das auch recht gut. Die Regenhosen sparen wir uns, da es dafür viel zu warm ist. Wenn wir die Klamotten von innen komplett nass schwitzen, dann ist uns auch nicht geholfen. Außerdem ist, sobald man erst mal nass ist, der Regen eine wirklich angenehme Abwechslung zu der andauernden Hitze der letzten Wochen. Auch die Tatsache, dass ich komplett nasse Füße hab, stört mich nicht.
Nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt erreichen wir den Santa-Park. Hier soll es nicht nur viel Spaß, sondern auch alles Wissenswerte rund um den Weihnachtsmann geben. Rovaniemi ist nicht nur die Hauptstadt von Lappland, sondern vor allem die Heimatstadt des Weihnachtsmannes. Am Eingang angekommen, müssen wir feststellen, dass der Park auf Grund der Pandemie geschlossen hat. Tja, auch auf der Homepage war davon nichts zu lesen. Wir fahren weiter zum Santa-Village, das nur ein paar Kilometer weiter nördlich ist.
Beim Park war ich schon etwas skeptisch, vom Santa-Village hab ich mir tatsächlich nichts erhofft. Ich bin von einem Tourismuszentrum mit massenhaft Souvenir-Shops ausgegangen. So ist es im Endeffekt auch. Das Santa-Village liegt zusammen mit dem Arctic-Circle-Center direkt an der E75. Es kann gut sein, dass das regnerische Wetter alles weniger einladend gemacht hat. Allerdings ist so wenig los, dass viele Geschäfte dunkel und geschlossen sind.
Dass man sich vom Arctic-Circle-Center nicht zu viel versprechen soll, wussten wir bereits. Dadurch sind wir nicht enttäuscht, sondern lassen die Tatsache auf uns wirken, dass Caro aus Falun in Mittelschweden und ich aus Friesenheim im Schwarzwald bis hierher an den Polarkreis gefahren sind. Mir ist schon mehrmals klar geworden, dass ich in den letzten Wochen so viele Eindrücke gesammelt habe, dass ich sie kaum verarbeiten kann. Jetzt stehen wir hier und ich kann es nicht so ganz fassen, dass ich mit dem Fahrrad den Polarkreis erreicht habe. Übrigens in kurzer Hose und Sandalen, was die ganze Sache für mich eher unrealistischer macht.
Nach ein paar Fotos geht es für uns weiter. Ab hier gibt’s leider keinen Radweg mehr neben der Straße. Naja, ehrlich gesagt hätte mich das auch wirklich gewundert. Wir sind mittlerweile so weit nördlich, dass man die Straßen, die weiter Richtung Norwegen führen, an einer Hand abzählen kann. Und außer uns sind auch ganz vereinzelt andere Radreisende unterwegs.
Das Fahren auf der großen Straße ist recht angenehm, auf jeden Fall weniger stressig als wir befürchtet haben. Die Straße ist gut, die Autos und LKW nehmen Rücksicht und die Natur um uns herum ist der Hammer. Die Wälder, die wir auf beiden Seiten zu Gesicht bekommen, wirken völlig endlos. Wir folgen der Straße einige Kilometer bin zu einer Abzweigung. Von hier ist es nicht mehr weit bis zu einer Schutzhütte im Wald. Blöd ist nur, dass wir, sobald wir anhalten, von Mücken gefressen werden. Also direkt wieder weiter. Es ist nur ein kleines Stückchen Schotterweg bis wir durch den Wald zu einer Lichtung kommen. Hier steht neben einer Schutzhütte mit Bänken um eine Feuerstelle auch ein Klo. Der Platz liegt direkt an einem Bach mit unglaublich klarem Wasser, das langsam vor sich hinplätschert. Der kleine See, den wir von der Hütte aus sehen, wird von dem Bach gespeist. Diese kleine Plätzchen im finnischen Nirgendwo ist so schön, dass man am liebsten hier bleiben würde. Wären da nicht die Mücken. Die Biester stören sich an keinem der verschiedenen Sprays, die man hier kaufen kann. Nachdem wir uns den groben Schweiß im Bach von der Haut gewaschen haben, geht es direkt wieder in die langen Klamotten.
Während Caro mit dem Kochen anfängt, mache ich Feuer. Leider müssen wir feststellen, dass die Mücken hier im hohen Norden immer hartnäckiger werden. Nicht nur das Anti-Mücken-Spray, sondern auch der Rauch unseres Lagerfeuers scheint sie nicht zu stören. Im Endeffekt stören wir uns selbst damit mehr als es die Mücken stört. Nach dem Essen flüchten wir schnellstmöglich ins Zelt und lassen hier den Abend in Ruhe ausklingen.
Neuer Tag, neue Mücken. Oder es sind noch dieselben…
Zum Frühstück gibt’s die übliche Morgenroutine. Wir packen unser Zeug fast fertig, lassen aber noch unsere langen Klamotten an. Die ziehen wir erst als Allerletztes aus, packen sie oben drauf und versuchen, schnellstmöglich auf dem Wald zu kommen.
An der Straße sind zwar auch Mücken, es sind allerdings deutlich weniger. Ein letzter prüfender Blick auf die Karte und schon starten wir in unsere heutige Etappe. Begleitet von unendlich vielen Bäumen entlang der Straße rollen wir dahin. An einer winzigen Siedlung stellen wir deutlich fest, dass Russland ziemlich nah ist. Auf unserem Weg haben wir immer wieder vereinzelte Schilder mit kyrillischen Schriftzeichen gesehen. In dieser Siedlung sind an einigen leerstehenden Läden, die mittlerweile zerfallen, Schilder mit diesen Schriftzeichen zu sehen. Leider können wir beide damit so gar nichts anfangen. Ein Straßenschild zeigt, dass es wirklich nicht mehr weit zur Grenze ist.
Hier ist übrigens doch wieder ein Stückchen Radweg. In jedem Dörfchen und in jeder winzigen Siedlung gibt es für Radfahrer zumindest einen kleinen Streifen. Hier bietet sich uns ein kurioses Bild. In einer Baustelle sieht man deutlich, dass wir auf dem erst halbfertigen Radweg unterwegs sind. Die Randsteine sind bereits gesetzt, der Belag fehlt aber noch. So bleibt auch beim Zebrastreifen ein hohe Kante aus Beton.
Ein Stück nach dem Dörfchen endet der Radweg dann wieder und wir fahren wieder auf der wenig befahrenen Straße. Wir haben uns für heute wieder ein paar Optionen zum Schlafen ausgesucht. Welche es wird, werden wir sehen. Wir überlegen hin und her, wo wir wohl am wenigsten von Mücken geplagt werden. Nachdem die ersten beiden Plätze, wie erwartet, voller Mücken sind, halten wir auf einem Parkplatz. Hier sind fast keine Mücken. Die Straße ist zwar keine zehn Meter weit entfernt, aber der Lärm der LKW ist uns deutlich lieber als die Mücken. Außerdem fahren die auch nur recht selten vorbei. Wir machen es uns an einem der Bänkchen bequem. Kochen, schreiben, essen, der restliche Tag vergeht, während immer wieder Autos und Wohnmobile kommen und gehen um Pause zu machen.
Eine Sache ist interessant: Ein Transporter mit Anhänger fährt an uns vorbei und hält am anderen Ende des Parkplatzes. Ein Mann steigt aus, geht im Gebüsch pinkeln, koppeltet den Hänger ab und fährt ohne ihn weg. Jetzt steht da dieser Hänger, auf dem ein großes Quad steht. Es dauert ein paar Stunden bis ein anderer Mann mit einem Pickup auf den Parkplatz rollt, schnurstracks zu dem Hänger fährt, ihn ankoppelt und davonfährt.
Der Abend nähert sich und auf dem Parkplatz wird es ruhiger. Nach und nach kommen und gehen immer weniger Fahrzeuge. Dass wir uns hier breit gemacht haben, stört bisher niemanden. Mit unserem Zelt wollen wir aber warten, bis es abends ist. Wir bekommen Besuch von einer Katze. Sie kommt aus dem Gestrüpp am Hang, was uns ein bisschen irritiert. Sie ist hellbraun und beige getigert, will sich allerdings nicht streicheln lassen, sondern schleicht nur um uns herum, bevor sie wieder verschwindet.
Es ist spät geworden und wir bauen unser Zelt auf. Am Ende des Parkplatzes bieten einige Bäume ein wenig Sichtschutz zur Straße hin, nicht viel, aber besser als gar nichts. Durch die Bäume sehen wir auf der anderen Seite ein Haus schimmern, aber es sieht verlassen aus und wir beschließen, hier zu bleiben. Trotz, dass es schon deutlich nach 22 Uhr ist, ist es noch taghell. Auf der einen Seite immer noch sehr ungewohnt, auf der anderen Seite sehr praktisch. Wir sammeln unser Zeug ein und bringen es zum Zelt.
Wir wollen gerade schlafen gehen, als von dem Haus, das durch die Bäume zu sehe ist, eine alte Frau über einen Pfad zum Parkplatz läuft. Sie pfeift, die Katze von vorhin kommt angelaufen, die alte Frau nimmt sie auf den Arm und verschwindet, ohne ein einziges Wort zu sagen oder uns anzuschauen wieder über den Pfad im Haus. Die Situation wirkt ein kleines bisschen gruselig, aber wir machen uns kaum Gedanken darüber.
Da es auch spätabends noch taghell ist, brauchen wir immer eine gewisse Zeit im dunklen Zelt bis wir dann richtig müde werden und schlafen können. Im Zelt ist es ruhig. Wir hören außer ein paar Insekten nichts. Außer, wenn einer der LKW vorbeidonnert. In diesen Momenten hört man sie nicht nur wie ein Donnerrollen, man spürt auch deutlich wie der Boden vibriert. Komischerweise stört das beim Einschlafen fast gar nicht.